||| Helmut Draxler: Was tun? Was lassen? Politik als symbolische Form

16,80 

In fünf Vorträgen beleuchtet Helmut Draxler die Voraussetzungen und Grenzen politischen Handelns. Eine Kritik des reinen Aktivismus und ein Plädoyer für eine selbstreflexive Politik des Symbolischen.

ISBN: 978-3-9824105-3-1
188 Seiten, Format 21 cm x 10,8 cm x 1,5 cm, 207 g

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Artikelnummer: 978-3-9824105-3-1 Kategorien: , ,

Beschreibung

Das Buch:  Was tun? Was lassen?

Helmut Draxlers Was tun? Was lassen? bietet eine anspruchsvolle Analyse der symbolischen Dimension von Politik in der Moderne. Seine zentrale These ist, dass sich Politik weder auf rein imaginäre noch auf rein reale Bestimmungen reduzieren lässt, sondern als ›symbolische Form‹ verstanden werden muss – als eine Form, die zwischen dem Imaginären und dem Realen vermittelt. Gegenüber dem Alarmismus und den Unmittelbarkeitswünschen, wie sie im (kunst-)politischen Aktivismus häufig anzutreffen sind, plädiert Draxler für eine methodische Abstandnahme: ein vorübergehendes Zurücktreten von der Aktion, um die Grundlagen politischen Denkens und Handelns neu zu bestimmen. Das Buch verbindet auf originelle Weise Ansätze aus Philosophie, Psychoanalyse und Kulturtheorie und entwickelt daraus einen eigenständigen Beitrag zur Diskussion um die Möglichkeiten emanzipatorischer Politik.

Der Autor: Helmut Draxler

Helmut Draxler ist Kunsthistoriker und Kulturtheoretiker. Von 1992 bis 1995 war er Direktor des Kunstvereins in München. An der Merz Akademie, Hochschule für Kunst, Design und Medien in Stuttgart (1999-2012), an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg (2013- 2014) und schließlich an der Universität für Angewandte Kunst in Wien (2014-2023) hatte er jeweils eine Professur für Kunsttheorie inne. Den Schwerpunkt seiner Arbeit stellen die Schnittpunkte zwischen Kunst, Politik, Philosophie und Psychoanalyse dar.
Publikationen: Gefährliche Substanzen. Zum Verhältnis von Kritik und Kunst, Berlin (b_books) 2007; Abdrift des Wollens. Eine Theorie der Vermittlung, Wien, Berlin (Turia+ Kant) 2017; Die Wahrheit der Niederländischen Malerei. Eine Archäologie der Gegenwartskunst, Paderborn (Brill/Fink) 2021; A Sense for Projects. The Problem of the Public and Contemporary Art (in Vorbereitung).

Weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Draxler_(Kunsthistoriker)

Leseprobe: Vorwort

Gäbe es einen Blick von außen auf die Welt, so böte sich ihm das erstaunliche Schauspiel, dass es im Leben vieler Menschen nichts Wichtigeres und Erregenderes zu geben scheint als die ­Poli­tik. Neben ihr verblassen die anderen ­großen Leidenschaften, und dementsprechend durchdringt die Politik als zentraler Wert­anspruch ­zunehmend auch jene gesellschaftlichen ­Be­reiche wie die Kunst, die Religion, die Wissenschaft oder die Ökonomie, die sich lange Zeit von ihr abschotten wollten. Selbst die grundlegenden Vorstellungen von Natur, von sozialen und intimen körperlichen Verhältnissen werden von ihr erfasst und neu kodiert. ­Politik ist tatsächlich zu einem »Erfolgsmedium« in einer Dimension geworden, vor der jede Behauptung eines Un­politischen als kategorische Seinsverfehlung verblasst. So mag man etwa die Polarisierung der Gesellschaft beklagen oder relativieren; in jedem Fall ist man im Polarisieren noch dahingehend vereint, dass die politischen Leidenschaften als das Entscheidende und die jeweiligen Gegner als verdammenswerte Subjekte aufgefasst werden, die der Realisierung des (eigenen) Guten im Wege stehen. Nicht mehr die Inhalte oder Methoden von Politik rücken hierbei in den Vordergrund, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der die Politik in den Dienst der jeweiligen Selbstversicherung genommen wird, das Gute bereits zu besitzen und es nur durchsetzen zu müssen. Mithin scheint ihr Sinn immer schon vorausgesetzt und nur eine Frage des Einsatzes der richtigen Mittel zu sein. Im Namen einer derart sich selbst immer schon verstehenden Politik kann die Wirklichkeit als transparent und verfügbar begriffen und ihr letztlich alles Rätselhafte ausgetrieben werden.

Was ich hier zu beschreiben versuche, stellt zweifellos eine höchst ideologische Form von Politik dar, wie sie sich im Rahmen westlicher, kapitalistischer und liberal-demokratischer Bedingungen in vielen Teilen der Welt durchgesetzt hat. Diese ideologische Form betrifft ein gemeinsames, innerhalb des hohen Wertanspruchs verborgenes instrumentelles Moment im Kern des Begriffs der Politik selbst, das sich in den offiziellen Parteipolitiken und institutionellen Bürokratien ebenso ausbreitet wie in den Bereichen von Ökonomie und Kultur, und das sogar bis in die alternativen, akademischen und aktivistischen Kontexte hineinreicht. Das Ideologische daran scheint genau in diesem Verständnis der Politik als eines reinen Mittels und der damit einhergehenden Vorstellungen von Machbarkeit und Dringlichkeit zu liegen,1 die wiederum zum Ausgangspunkt medialer, diskursiver und aktivistischer Mobilisierungen werden. Doch die vielen Widersprüchlichkeiten, die gerade solche Vorstellungsweisen von Politik betreffen, sind kaum zu übersehen. Sie sind – zwischen den individuellen Absichten und den sozialen Effekten, dem konkreten Tun und seinen möglichen Bedeutungen, zwischen den Ansprüchen an die Beherrschbarkeit der Mittel und dem Ausgeliefertsein an die Zufälle der jeweiligen Gegebenheiten oder zwischen den medialen Erregungswellen, die die Politik immer wieder auslöst, und der konstitutiven Folgenlosigkeit, in die sie abebben – inzwischen vielfach beschrieben und in ihrer Symptomatik vereinzelt auch gedeutet worden.2 Es scheint mir dennoch an einer grundlegenden Reflexion zu fehlen, die sowohl die historische Genese des Verständnisses von Politik als eines reinen Mittels betrifft als auch die Grenzen dieses Verständnisses, an denen es sich nur allzu leicht selbst verkennt.

Denn für linke oder emanzipatorische ­Politikansätze stellt sich in besonderem Maß das Problem, wie der Erfolg dieses ideologischen Politikbegriffs auf höchst irritierende Weise mit der sich immer weiter zuspitzenden Grundlagen­krise der Linken einhergeht. Diese Grundlagenkrise betrifft nicht nur den Verlust ihrer Heilsgewissheit in Bezug auf jede Vorstellung einer befreiten oder versöhnten Gesellschaft3 oder die Frage, wie mit den Gegnern linker oder emanzipatorischer Politik umzu­gehen sei, in der die Gewaltgeschichte der Linken zwischen Guillotine, Gulag und Umerziehungslager begründet liegt; es sind vor allem die multiplen Konfliktkonstellationen, wie sie in den letzten Jahrzehnten etwa zwischen Anerkennungs- und Verteilungspolitik, Klassen- ­versus Identitätspolitik, zwischen ökologischer und sozialer, nationaler und globaler Politik, Rassismus und Antisemitismus, Differenzfeminismus und Trans-Aktivismus virulent geworden sind, die kaum mehr eine einheitliche Perspektive erlauben. Denn deren gemeinsames Merkmal scheint genau darin zu bestehen, dass sie nicht durch eine Positionierung auf einer Seite im Sinne eines implizierten Fortschritts und der damit gelingenden Überwindung der jeweiligen Gegenposition zu verstehen sind, dass sich diese Konflikte aber auch nicht in einem gemeinsamen empirischen Bezugsrahmen, sei dieser nun putschi­stisch, mikropolitisch, radikaldemokratisch oder intersektional verstanden, einhegen lassen. Denn der transzendentale Universalismus, der jeder Vorstellung von Emanzipation zugrunde liegt, lässt sich nur schwer mit jeder empirischen Form von Politik in Übereinstimmung bringen. Neue Formen von Ausgrenzung und Gewalt sind hier stets vorprogrammiert. Angesichts solch vielfältiger Paradoxien reicht es deshalb nicht aus, die Politik im mobilisierenden Gestus nach dem Muster eines reinen ­Politischseins einzufordern; sie muss gedacht und kritisiert werden, um überhaupt politisch sein oder werden zu können. Hierfür bedarf es einer ebenso historischen wie strukturellen Rekonstruktion des Begriffs der Politik, um von hier aus seinen unheimlichen Erfolg verständlich zu machen. Es gilt, an diesem Begriff selbst eine Differenz aufzumachen, die ihn auf eine andere Weise als im Sinne reiner Mittelhaftigkeit bestimmt und es erlaubt, ihn auf produktive Weise auf die multiplen Konfliktkonstellationen der Gegenwart zu beziehen – und zwar, indem man Politik als symbolische Form versteht.

Die grundlegende These der folgenden Texte besteht darin, dass die Politik bereits seit der ­frühen Neuzeit kein reines Mittel ist, über dessen richtigen Einsatz zur Erreichung seiner Zwecke wir bloß zu streiten bräuchten, sondern ein Zweck an sich selbst. Politik entfaltet sich aus den dynastischen, territorialen, sozialen, ökonomischen oder konfessionellen Konflikten heraus als eine besondere Form des Denkens, Wollens, Fühlens und des Handelns, die sich von den vorgegebenen Zielsetzungen und Interessen zunehmend ablöst und ihren eigenen symbolischen Raum generiert. Die Frage nach dem Sinn von Politik ist unmittelbar an einen solchen spezifischen »Erscheinungsraum« gekoppelt, der sich im Spannungsfeld zu anderen symbolischen Formen wie Religion und Wissenschaft, Kultur, Kunst, aber auch Ökonomie erst ausbildet, und in dem die Verfügbarkeit der Zwecke und somit die Mittelhaftigkeit von Politik sich als der eigentliche, scheinbar objektive oder autonome Zweck von Politik ausweist. Erst innerhalb dieses symbolischen Bezugsrahmens können sich die instrumentellen Mobilisierungen entfalten, und dementsprechend erlaubt die Politik den Individuen, ihre Ambivalenzen und Widersprüche auf der psychischen wie auf der sozialen Ebene für überwindbar und den Einsatz ihres Imaginären noch in der schärfsten Zuspitzung im Sinne politischer Leidenschaften immer schon für gerechtfertigt zu halten,4 etwa indem sie auf einen konstitutiv zukünftigen Sinn verweist, der sich bereits im Hier und Jetzt beanspruchen ließe. Damit unterstellt die Politik dem individuellen und unbedingten Wollen eine kollektive Notwendigkeit und negiert dabei den Anteil, den sie selbst an der konstitutiven Spaltung der Subjekte zwischen psychischen und sozialen Bestimmungen, zwischen Wollen und Sollen, zwischen Mitteln und Zwecken hat.

Das heißt, die ebenso individualisierten wie imaginären Bestimmungen von Politik verweisen auf eine gemeinsame symbolische Struktur, die die unterschiedlichen Einsätze ebenso reguliert wie sie sie im Gesamten einer symbolischen Ordnung verankert. Politik als symbolische Form5 zu begreifen, impliziert daher, die Politik jenseits aller Selbstverständlichkeit als ein im Kern Unbestimmtes und damit Rätselhaftes aufzufassen. Denn in Ermangelung einer für alle gültigen kosmisch-transzendenten Ordnung indiziert das moderne Symbolische eine grundlegende Differenz zwischen dem Imaginären und dem Realen, mithin die Unmöglichkeit einer definitiven Bestimmung des Realen als eines metaphysischen Grundes oder eines, aller Individualität vorausgehenden, definitiven Sinns.6 Der »Erfolg« von Politik entfaltet sich im Raum dieser Differenz und damit sind gleichzeitig auch die Grenzen jedes einzelnen Anspruchs benannt. Weder kann das Imaginäre mit dem Realen identisch werden, noch lässt sich die symbolische Ordnung insgesamt im Sinne empirischer Normativität überschreiten, weil sie den jeweiligen individuellen Einsätzen als motivationale Struktur immer schon zugrunde liegt. Politik, aber auch Kunst oder Philosophie können in diesem Sinn als die positiven Möglichkeiten des Symbolischen begriffen werden, in die jedoch ihre jeweils spezifischen Unmöglichkeiten immer schon eingeschrieben sind.7

Die Sammlung dieser Vorträge umkreist dieses Problem einer grundlegenden Widersprüchlichkeit in Bezug auf die jeweiligen Bestimmungen des Sinns von Politik. Sie geht davon aus, dass sich im Durchgang durch dieses Problem jedoch sehr wohl ein politischer Sinn von Politik behaupten lässt, ein Sinn, der weder an der imaginären Überwindung des Problems ansetzt, noch einer Beschränkung auf die empirischen Existenzformen oder das bloß Machbare das Wort redet. Vor diesem Hintergrund werden die Fragen Was tun? Was lassen? zum eminenten Einsatz jeder politischen, künstlerischen oder auch philosophischen Praxis. Es kann in dieser Perspektive weder um einen reinen Aktivismus noch um gelassene Hinnahme, weder um eine leninistische Entscheidung noch um eine mikropolitische Ausweitung des Politischen ins Soziale, weder um imaginär-utopische Ausblicke noch um das Behaupten eines einzigen wahren Realen, aus dem alles andere ableitbar wäre, gehen.8 Vielmehr soll die Unterbrechung des je eigenen imaginären Wollens und Sollens – und der damit verbundenen psychopolitischen Erregungspotenziale – hervorgehoben werden, der Moment des Innehaltens zwischen den beiden Fragen, an dem die Politik als Politik in ihrer symbolischen Form in Erscheinung treten und als solche adressiert werden kann. Jeder Aktivismus braucht in dieser Sichtweise nicht nur ein reflexives Moment hinsichtlich dessen, was ihn überhaupt als Politik kennzeichnet, oder in Hinblick auf die ungewollten Effekte, die er notwendigerweise generiert, sondern ebenso auf die symbolischen Muster, denen er in der Wiederholung durchaus passivisch folgt; und umgekehrt lässt sich auch keine rein passivistische Strategie vorstellen, die nicht immer schon ein aktives Moment voraussetzt, das ihren passiven Einsatz erst zur Entfaltung bringt. Melvilles Bartleby, die Galionsfigur der modernen Passivitätstheorien, wäre zweifellos viel passiver geblieben, wenn er seinen Job einfach gemacht und nicht »I prefer not to« gesagt hätte.9 Beide Strategien, das Tun wie das Lassen, setzen darüber hinaus immer schon Bereiche jenseits ihres eigenen Geltungsanspruchs voraus: etwa die Kultur, die Kunst, die Philosophie oder die Wissenschaft, von denen sie sich abgrenzen und aus denen sie doch immer wieder ihre Motiva­tionshorizonte ziehen.

Angesichts solcher Verwicklungen scheint mir eine systematische Darstellung des Problems der Politik als symbolischer Form wie des Symbolischen insgesamt weder möglich noch sinnvoll zu sein. Das gemeinsame Projekt dieser über mehrere Jahre hinweg entstandenen Vorträge bestand genau darin, die jeweils unterschiedlichen Gelegenheiten, wie sie durch die Einladungen zu diversen Themen und in den verschiedensten Kontexten gegeben waren, als Herausforderung anzunehmen, die grundlegende Fragestellung nach einer möglichen Politik des Symbolischen immer wieder aufzunehmen, durchzuarbeiten und zuzuspitzen. Der Vortrag wurde so zu einer besonderen essayistischen Form. Ich habe versucht, diese Form in den Überarbeitungen präsent zu halten, auch wenn es mir notwendig erschien, den Argumentationsgang – vor allem über die Anmerkungen – stärker im jeweiligen diskursiven Referenzfeld zu verankern. Das Nachwort umreißt die allen fünf Vorträgen zugrundliegende methodische Argumentationsfigur im Sinne einer Arbeit am Symbolischen und legt sie in ihren politischen Konsequenzen offen.

Besonderer Dank geht an Stephan Gregory, der die Publikation dieser Vorträge angeregt und kritisch begleitet hat, ebenso an Antonia Birnbaum und Kathrin Busch für ihr insistierendes Nachfragen an vielen entscheidenden Stellen; ferner an Jan Völker, Megan Francis Sullivan, Alexi Kukuljevic und Hans-Jürgen Hafner für die kontinuierliche inhaltliche und taktische Auseinandersetzung in den letzten Jahren und an all jene, die mich ursprünglich zu den Vorträgen eingeladen haben: Sabeth Buchmann, Sebastian Egenhofer, Eva Kernbauer und Magdalena Nieslony (Vortrag 1), Marita Tatari (Vortrag 2), Moriz Stangl und die Fachschaft Philosophie in Tübingen (Vortrag 3), Nathan Brown und Petar Milat (Vortrag 4). Der letzte Vortrag stellt die Einführung zur Konferenz »Dialektik und Anti­dialektik« dar, die ich gemeinsam mit Antonia Birnbaum im März 2024 an der Universität für Angewandte Kunst in Wien konzipiert und organisiert habe. Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei Sara De Bondt für die Gestaltung des Covers.

Für Benjamin und Damian

Zusätzliche Informationen

Gewicht 207 g
Größe 21 × 10,8 × 1,5 cm